Radio für alle

Sie hießen Piraten, weil sie auf Radiowellen segelten und sich den Freiraum für ihr Programm einfach nahmen. Erst seit 1994 sind freie Radios in Österreich legal. Radio Helsinki, das erste freie Radio Österreichs, bietet ein Programm, das man so nicht kennt.

Ein weißes Ohr auf schwarzem Grund. Darunter zwei stilisierte Knochen. Könnten auch Mikrophone sein. Die Piratenflagge an der Glastür erinnert jedenfalls an die Geschichte des Senders. An den Anfang in Privatwohnungen, wo sich eine Handvoll unerschütterlicher RadiomacherInnen regelmäßig traf, um den Grazer Raum mit selbstgemachtem Programm zu beschallen. Damals die einzige Alternative zum staatlichen Monopolisten. Polizeilich gejagt, wechselten die Illegalen in Blitzgeschwindigkeit die Location, um gleich darauf in einer anderen Wohnung am privaten Radioprogramm weiterzuarbeiten. Bis der Europäische Gerichtshof befand, dass diese Situation gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoße und 1994 das Regionalradiogesetz beschlossen wurde.

Ab 1995 sendete Radio Helsinki einige Jahre lang jeden Sonntag auf der Frequenz der Antenne Steiermark. Seit 2000 steht 92,6MHz für die eigene Sendefrequenz und zugleich für ein unendlich breites Programm, an dem ehrenamtliche Menschen jeden Alters mitarbeiten. Und seit dem Vorjahr sind die Studios ins Jakominiviertel gesiedelt.

Stadtradio

Schönaugasse 8. Wer sich ein Getümmel wie im Bienenstock erwartet, wird enttäuscht. Ein Sofa, Schreibtische, eine kleine Küche. Volle Konzentration, die sich auf den Gesichtern abzeichnet. Bewegung kommt nur von den Fingern, die über die Computer-Tastaturen rasen und von den Plakaten an den Wänden, die mit politischen und sozialen Statements tapeziert sind. Arbeitsbedingungen, von denen die AktivistInnen der 90er Jahre wohl geträumt hatten, als sie für ein freies Radio kämpften.

Warum eigentlich Radio Helsinki? Mit der finnischen Hauptstadt habe das wenig zu tun, erzählt Daniela Oberndorfer. Sie ist eine der Angestellten des freien Senders. „Als das Radio gegründet wurde, mussten wir einen Namen finden. Also haben die damaligen Mitglieder alle Ideen willkürlich in einen Topf geschmissen und Radio Helsinki hat bei der Abstimmung gewonnen.“ Ganz einfach.

Eine Stimme für die Verstummten

Das Ziel des Radios war und ist nach wie vor dasselbe: allen Leuten eine Stimme zu geben. Mittlerweile drehen rund 230 ehrenamtliche SendungsmacherInnen bei Radio Helsinki an den Reglern. „Uns ist es sehr wichtig, dass jede und jeder senden kann. Weil die unterschiedlichsten Leute bei uns eine Stimme kriegen, haben wir andere Blickwinkel als Mainstream-Medien zu gewissen Themen.“ Anstatt über Betroffene zu berichten, gibt das freie Radio ihnen die Möglichkeit, „selbstermächtigt ihre Sendungen zu gestalten“. Eine journalistische Ausbildung ist nicht erforderlich – nach einem dreitägigen Workshop können Interessierte ihr Konzept für eine eigene Sendung vorstellen oder in eine der vielen Radioredaktionen einsteigen.
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Aktivismus durch Medien

Oberndorfer ist im Jahr 2010 durch eine Freundin auf das Radio Helsinki gestoßen. Damals organisierte sie die feministische Frühlingsuni in Graz – eine jährliche Konferenz für Frauen, die Themen wie Gleichberechtigung der Geschlechter aufgreift. Mit ihrem feministischen Interesse ist sie in das queer-feministische Nachrichtenmagazin Gender-Frequenz eingestiegen und seit damals beim Rundfunk aktiv. Wie sie selbst, sind auch viele andere SendungsmacherInnen politische oder soziale AktivistInnen, die von Gleichgesinnten ins Boot geholt wurden.

Diversität für mehr Toleranz

Daneben sind es VertreterInnen von Vereinen, MusikerInnen, Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichem Fokus, die hier eigene Sendezeiten erhalten. Diversität, die sich in der Vielfalt des Programms widerspiegelt. „Freie Radios bedienen Nischen, weil sie eine Ergänzung zu Mainstream-Medien sind“, meint Oberndorfer. Von der Auswahl der Themen bis hin zur Ausarbeitung gleiche das Radio Helsinki keinem staatlichen oder anderem privaten Rundfunk. „Wir können viel kritischer sein, wir sind direkter, weil wir keine Vorgaben erfüllen müssen. Daher finde ich das freie Radio sehr politisch.“ Nur eine Programmrichtlinie müssen alle Beteiligten erfüllen: Die Beiträge dürfen niemanden diskriminieren.

Auf dem Programm stehen auch fremdsprachige Sendungen, die Sprachbarrieren für in Graz lebende MigrantInnen abtragen sollen. Und auch Radiokunst hat ihren Platz, „ein absolutes Nischenprogramm“, das sein darf, auch wenn manche ZuhörerInnen die Klang- und Ton-Exerimente durchaus als störend empfinden. Darüberhinaus haben sich mittlerweile zahlreiche Nachrichtenmagazine, wie VON UNTEN, Talksendungen und Literaturprogramme etabliert.

Eben ein Radio für alle.

Radio Helsinki, 92,6MHz on air und per Live-Stream.